Stadtklima und Pfrimmtal schützen – Krankenhaustangente stoppen

Sitzung am 08. Oktober 2024

Beschlussantrag:

Die Stadt Worms verzichtet gegenüber dem Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (Koblenz) schriftlich auf die Rechte aus dem Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der K 2 – Äußerer Ring in Worms zwischen der Nievergoltstraße (K 1) und der Bundesstraße Nr. 47 (Az. 02.4-1816-BF/39) vom 1. August 2024.

Begründung:

  1. Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses

Die Stadt Worms hat für den Neubau des so bezeichneten „Äußeren Ringes“ in Worms zwischen der Nievergoltstraße (K1) und der Bundesstraße (B 47 neu) am 04. Juni 2013 die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens beantragt. Der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz hat für das Vorhaben am 1. August 2024 einen Planfeststellungsbeschluss erlassen. Dieser lag mit einer Ausfertigung des festgestellten Plans vom 16. bis 30. September 2024 bei der Stadtverwaltung zu jedermanns Einsicht aus. Mit dem Ende der Auslegungsfrist am 30. September 2024 gilt der Beschluss als zugestellt.

Planfestgestellt wurde eine ca. 2 km lange Straßentrasse zwischen der Nievergoltstraße und der B 47 neu mit einem Querschnitt von 10,50 m, einer zu versiegelten Fläche von 4,8 ha Größe und einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von VEntwurf 100 km/h.

  • Relevanz für die Hitzebelastung der Innenstadt und die Gesundheitsgefahren

Das Vorhaben ist mit einem Eingriff in Natur und Landschaft verbunden. Teil des Eingriffs sind Veränderungen der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Kleinklimas als Teil des Naturhaushalts. Erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sind vom Verursacher vorrangig zu vermeiden. Nicht vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen sind durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen zu kompensieren (§ 13 BNatSchG).

  1. Erläuterungsbericht aus dem Jahr 2013 zur Wärmebelastung

Der von der Stadtverwaltung am 4. Juni 2013 erstellte und von Landesbetrieb planfestgestellte Erläuterungsbericht zum Vorhaben erkennt zu dieser Thematik, dass das Pfrimmtal aufgrund seiner topographischen Situation »geländeklimatisch ein Kaltluftsammel- und –abzugsgebiet darstellt. Die in Strahlungsnächten im Bereich der nördlich und südlich liegenden Offenlandflächen gebildete Kaltluft fließt in die Talmulde und zieht entsprechend dem Geländegefälle in östliche Richtung ab. Das geringe Talgefälle sowie die Bebauung schwächen den Kaltluftabfluss ab, so dass es zu hoher Schwüle und hoher Schadstoffbelastung bei Inversionslagen kommen kann. Der Untersuchungsraum liegt noch im Einflussbereich der Stadt Worms als Wärmeinsel, was in Verbindung mit der sommerlichen Aufheizung der umgebenden Offenlandflächen insgesamt zu einer hohen Wärmebelastung insbesondere in den Ortschaften von Pfiffligheim und Leiselheim führt.« (Erläuterungsbericht Seite 27f.)

  • Einwendungen der Umweltverbände

Die anerkannten Umweltverbände haben im Anhörungsverfahren ihre Einwendung unter anderem damit begründet, dass Bau und Betrieb der Straßentrasse quer zur Fließrichtung des Kaltluftabflusses die Wärmebelastung der Innenstadt weiter erhöhen wird. Sie haben gefordert, dies zu vermeiden.

  • Ortsränder der angrenzenden Stadtteile

Die Stadtverwaltung hat der Planfeststellungsbehörde – ausweislich der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses – vorgetragen, dass bereits die vor zehn Jahren realisierte Bebauung an den Ortsrändern von Leiselheim und Pfeddersheim die Frischluftzufuhr für die Innenstadt nachhaltiger beeinflusst als dies die geplante Straßenführung vermögen werde. Der Landesbetrieb Mobilität folgt dem in der Abwägung mit der These, die Trasse und Betrieb stelle »kein Hindernis für den Luftaustausch dar«. Wörtlich führt der Beschluss dazu aus:

»Zu der Beeinträchtigung der Frischluftzufuhr durch das Straßenbauprojekt hat die Stadt Worms in ihrer Erwiderung plausibel dargelegt, dass bereits die beiden Ortsteile Pfeddersheim und Leiselheim mit der teilweise sehr dichten Bebauung (der östliche Ortsrand von Leiselheim besteht aus einer dichten dreigeschossigen Reihenhausbebauung) praktisch wie ein Riegel quer im Pfrimmtal liegen und bereits damit die Frischluftzufuhr nachhaltiger beeinflussen, als dies die geplante Straßenführung mit der bodennahen Orientierung der Gradiente vermag.

Der Trassenverlauf entlang dem östlichen Ortsrand von Leiselheim erreicht selbst unter Berücksichtigung der Höhe der vorgesehenen Lärmschutzwälle kaum die Traufhöhe der angrenzenden Bebauung und stellt damit kein Hindernis für den Luftaustausch dar. Bereits unmittelbar südlich des Pfrimmverlaufs verläuft die Straßentrasse auf bodennahem Niveau und geht in den Einschnitt der Eisenbahnüberführung über. Die in der Einwendung beschriebene „Beeinträchtigung“ ist daher nicht gegeben.“ (PFB Kapitel E, Begründung, Seite 129)

  • Klimakonzept Innenentwicklung der Stadt Worms

Die Stadtverwaltung Worms hat am 19. Oktober 2020 das »Klimakonzept Innenentwicklung der Stadt Worms« (Klimatische Bewertung und Untersuchung potentieller Bauflächen“) vorgelegt. Das Konzept misst den großen Freilandflächen im Westen des Stadtgebietes eine Funktion als wichtige Kaltluftproduzenten zu und erkennt, dass ein Kaltluftabfluss aus diesen Freilandflächen in Richtung Stadtzentrum stattfindet. Die Untersuchung analysiert, dass Gebiete innerhalb der Stadtkerns eine schlechte Belüftungssituation aufweisen. Die dortigen städtischen Wärmeinseln führen nach diesen

Erkenntnissen »sehr schnell zum Abbau von Kaltluft. Sehr deutlich ist erkennbar, wie die städtische Wärmeinsel als Sog für die im Umland gebildete Kaltluft wirkt. Die Strömungspfeile der Kaltluft weisen ringförmig in die Wormser Innenstadt. Dabei werden häufig Straßenzüge und Grünanlagen als Leitbahnen für die Kaltluftströmung genutzt, wenn sie hindernisarm und gradlinig verlaufen.« (Seite 18)

Als eine wichtige der für Worms relevanten Luftleitbahnen analysiert die Untersuchung auf der Grundlage einer Kaltluftsimulation das von Westen nach Osten verlaufende Tal der Pfrimm und erläutert, dass darüber »kalte Freilandluft in die überwärmten Stadtteile gelangen kann«. Beide in der Untersuchung entwickelten Kriterien für die Ausweisung einer »klimarelevanten Luftleitbahn«, ein Hindernis am Abfluss von Kaltluft im Freiland und die Verbindung der Bahn mit aktuell oder zukünftig über wärmten Stadtteilen trifft ausweislich der Darstellung in Abbildung 11 der Kaltluftsimulation für die Aue der Pfrimm auch im Kreuzungsbereich mit der im planfestgestellten Kreisstraße 2 zu.

Abbildung aus Klimakonzept Innenentwicklung, Abb. 10 und 11

Zusammenfassend bewertet die Stadtverwaltung Worms die Aue der Pfrimm auch im Kreuzungsbereich mit der im planfestgestellten Kreisstraße 2 zutreffend in der »Bewertungskarte Klima« (Abbildung 11) als »stadtklimarelevante Park- und Waldflächen«.

  • Klimafachliches Defizit des Planfeststellungsbeschlusses

Mit dieser bedeutenden Funktion der Aue als einer stadtklimarelevanten Parkfläche setzt sich allerdings der Planfeststellungsbeschluss nicht auseinander. Denn die Stadt Worms hat es als Vorhabenträger im Planfeststellungsverfahren – ausweislich des Inhalts der Ergänzung zum Erläuterungsbericht vom 10. März 2023 und der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses – unterlassen, dem Landesbetrieb Mobilität das »Klimakonzept Innenentwicklung der Stadt Worms« überhaupt vorzulegen oder auch nur dessen Bewertung der Aue der Pfrimm als stadtklimarelevante Aue vorzutragen. Zudem hat es die Planfeststellungsbehörde ihrerseits unterlassen, die qualitative Beeinträchtigung des Abflusses der Kaltluft durch das geplante Straßenbauvorhaben von den Freiflächen in die Innenstadt klimafachlich durch ein gebotenes Gutachten aufzuklären. Das Klimakonzept Innenentwicklung ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass ein solches Gutachten die im Plan festgestellte Straßentrasse als ein Hindernis für den freien Zufluss der Kaltluft in der Innenstadt erkennen und als Folge ihres Baus eine Verschärfung der Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung der Innenstadt analysieren wird.

Die für das Klimakonzept erstellte Simulation des Abflusses von Kaltluft über das Pfrimmtal widerlegt die These des Planfeststellungsbeschlusses, dass die Ausdehnung und Höhe der Bebauung an den Ortsrändern der beiden angrenzenden Stadtteile eine so relevante Vorbelastung sei, dass die Straßentrasse im Vergleich dazu keine beeinträchtigende Wirkung mehr habe.

Der Planfeststellungsbeschluss setzt sich auch qualitativ nicht mit dem Maß der Hinderniswirkung der im Plan festgestellten Trasse auf diesen Abfluss der Kaltluft auseinander. So soll das Bauwerk der Brücke über die Pfrimm eine Höhe von 3,90 m über dem Bachbett erhalten, beidseits der Geländer sind noch Aufbauten von 3,50 m Höhe zur Irritation der Fledermäuse genehmigt und beidseits der Brücke sind auf den Dammschüttungen Pflanzungen von Schwarzerlen quer zum Kaltluftstrom verpflichtend vorgegeben, die langfristig eine Wuchshöhe von bis zu 30 m haben werden. Das Maß der davon ausgehenden Hinderniswirkung für die Kaltluft wird im Planfeststellungsbeschluss nicht aufgeklärt.

  • Verfassungsrelevanz des Klimaschutzes

In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021 werden neue Maßstäbe auch für den kommunalen Klima- und Grundrechtsschutz gesetzt. Das BVerfG stellt fest, dass die heute unzureichende Klimaschutzpolitik Freiheits- und Grundrechten von morgen beeinträchtigt. Das Bundesverfassungsgericht fordert auch von einer Landesbehörde oder einer Stadtverwaltung zur Minderung von Treibhausgasen und auch einer Hitzebelastung der Bevölkerung nicht länger in die Zukunft und damit einseitig zulasten junger Generationen hinauszuzögern. Der Gesetzgeber wird vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert, sich dabei an den Vorgaben der Wissenschaft zu orientieren und einen schlüssigen Emissionsreduktionspfad mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität vorzulegen. Dabei müssen die Freiheits- und Grundrechte der jungen und künftigen Generationen gewahrt und das CO2 Budget entsprechend generationengerecht aufgeteilt werden. In seinem Beschluss, betont das BVerfG auch die internationale Verantwortung Deutschlands in der globalen Klimakrise und stellt zugleich fest, dass ein Staat sich seiner Verantwortung durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen anderer Staaten nicht entziehen kann.

Die Kernaussagen der Entscheidung des BVerfG lauten:

  • Klimaschutz ist ein Menschenrecht
  • Das Grundgesetz wird generationengerecht ausgelegt
  • Der Klimawandel ist real und der Gesetzgeber muss ihm entgegenwirken
  • Der Gesetzgeber muss sich an den Vorgaben der Wissenschaft orientieren und schlüssige Konzepte zur Treibhausneutralität entwickeln
  • Klimaschutz ist justiziabel, heute und in Zukunft
  • Klimaschutz gehört zum Grundrechtsschutz

Die Entscheidung berührt auch die Pflichten der Stadtverwaltung Worms als Träger des Straßenbauvorhabens der K2, des Landesbetriebs als Planfeststellungsbehörde und des Stadtrates als jenes Gremium, welches über die Umsetzung des Planfeststellungsbeschlusses zu entscheiden hat. Zusammengefassten haben alle drei Institutionen die Verpflichtung, den Klimaschutz als Menschenrecht Urteil des Grundrechtsschutzes bei ihren Entscheidungen zu beachten.

Zusammenfassend würde der Bau und Betrieb der Straßentrasse den Zufluss von Kaltluft von den Freiflächen im Westen in Richtung der Innenstadt weiter einschränken und damit die Hitzebelastung und als deren Folge die Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung steigern. Naturschutzrechtlich ist der dadurch bewirkte Eingriff in Natur und Landschaft durch den Planfeststellungsbeschluss nicht ausgeglichen und auch durch dessen denkbare Ergänzung oder Änderung nicht ausgleichbar.

Hier finden Sie den Antrag als PDF.